Warum soziale Medien keine Deliberationstools sind
Wie traumhaft sind Facebook und Twitter: viele Milliarden Menschen sind auf einer Plattform versammelt und können sich miteinander austauschen. Eigentlich müsste das eine Wunschvorstellung der deliberativen Demokratie sein. In der deliberativen Demokratie geht es darum, dass Bürger:innen über Wahlen hinaus Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse nehmen können. Und in vielerlei Hinsicht können soziale Medien förderlich für die Demokratie sein: Advocacy Gruppen und Bewegungen können sich besser vernetzen, Politiker:innen teilen ihren Arbeitsalltag und stellen eine direkte Verbindung zur Öffentlichkeit her. Es gibt aber eine Kehrseite: Soziale Medien sind keine geeignete Plattform für politische Deliberation.
Viele Social Media Plattformen sind für die Nutzer:innen kostenlos, da sie sich durch Werbeeinnahmen finanzieren. Dass diese Unternehmen die Daten von Nutzer:innen als Währung betrachten, ist nichts neues. Daraus folgt aber: Plattformen wie Facebook müssen dafür sorgen, dass Menschen sich möglichst lange auf der Seite aufhalten. Und das wird dadurch erreicht, dass starke Emotionen getriggert werden. Der Journalist Charlie Warzel formuliert es noch drastischer: Facebook sei so konzipiert, dass Hass erzeugt wird. Hass und Wut; das ist eine schwierige Diskussionsgrundlage.
Für Deliberation braucht es stattdessen Rationalität, Gegenseitigkeit, Respekt und Konstruktivität. Und dafür braucht es geeignete Plattformen. Deliberation und politischer Austausch im weiteren Sinne sollten auch online stattfinden, und viele Personen sind bereits in einigen sozialen Medien registriert. Trotzdem lohnt es sich den Schritt zu wagen, Beteiligung auf andere Plattformen zu verschieben. Es muss einen Raum geben, der explizit dafür geschaffen wurde, Menschen eine ausgeglichene Debatte zu ermöglichen, die es vereinfacht, aufeinander zuzugehen. Nicht der Kommentar, der die meisten Reaktionen hervorruft, ist auch der konstruktivste und fundierteste.
Alternative Plattformen als Ergänzung ist die Lösung, an der wir arbeiten. Deswegen haben wir die Software adhocracy entwickelt, auf der Plattformen wie meinBerlin, OPIN für Jugendbeteiligung und adhocracy+ basieren. Für die spezielle Funktion der Deliberation müssen Plattformen für diesen Zweck entwickelt sein – das können soziale Netzwerke nicht bieten. Wirklich konstruktive, gleichberechtigte, respektvolle politische Diskussionen zu führen ist schon offline alles andere als einfach. Damit es online funktionieren kann, müssen diese Grundsätze in der Entwicklung mitgedacht werden.